Die Entstehung der Obernauer Kapelle selbst ist wie so oft sagenumwoben: Eine der beiden kursierenden Erzählungen berichtet, dass ein reicher Mann am Abend des Festes Mariä Geburt begann, am Waldrand des heutigen Kapellenstandorts seine Wiese zu mähen. Als er seine Sense dengelte, kam ein angetrunkener Nachbar vorbei. Die beiden gerieten in Streit und der Mäher wurde erschlagen. Zur Sühne des doppelten Frevels – also der Schändung des Feiertags und des Totschlags – stifteten die Angehörigen des Getöteten zunächst ein Muttergottesbild. Da man jedoch auch später alljährlich acht Tage vor und nach Mariä Geburt ein geisterhaftes Dengeln hörte, erbaute man bald ein Kapellchen und stellte das Marienbild darin auf. Die zweite Obernauer Sage ist dem Bereich der Auffindungslegenden zuzuordnen und erzählt von einem Hirten, der aus einer Buche ein leises Singen und Klingen hörte. Als der Baum gefällt wurde, fand man im Innern ein kleines, schlichtes Muttergottesbild.

Warum und wann die Obernauer Kapelle wirklich erbaut wurde, lässt sich heute nicht mehr eindeutig feststellen. Eine am Portal angebrachte Jahreszahl lässt jedoch vermuten, dass der älteste Teil der Kapelle – der heutige Chorraum – aus dem Jahr 1712 stammt. Im Jahre 1844 wurde in Erfüllung eines Gelübdes ein hölzerner Vorbau errichtet und das Kreuz angebracht. Die Kapelle erfreute sich regen Zulaufs, erwies sich bald als zu klein. Deshalb warb Pfarrer Kilian Huber ab 1913 um Geldspenden zur Renovierung und Vergrößerung. In der allgemeinen Not wandte er sich jedoch nicht nur an die Gläubigen in Obernau, Schweinheim, Aschaffenburg und Umgebung, sondern auch an ausgewanderte Bürger in Amerika... Mit Erfolg: So schickte Louis (Alois) Autz, ein ehemaliger Obernauer, der 30 Jahre zuvor nach Louisville (Kentucky) ausgewandert war, 1920 einen Scheck in Höhe von 10000 Goldmark für die Erweiterung der Kapelle. Auch aus den umliegenden Gemeinden, sogar aus Schweinfurt und Ludwigshafen kamen zahlreiche Spenden. Mit diesen Geldern konnte man die Erweiterung der Kapelle zu einer Kriegergedächtniskapelle nach den Plänen des Architekten Otto Leitolf angehen. Bereits am 1. Mai 1921 wurde die neue Kapelle mit dem heutigen Kirchenraum und Vorbau gesegnet. In den 1930er Jahren erhielt sie einen neuen Altar im Rokokostil, in dem das Gnadenbild steht.

Sogar ein Glöckchen besaß das neue Obernauer Kapellchen. Wie alle übrigen Glocken musste auch diese 1942 zum Einschmelzen für Kriegszwecke abgeliefert werden. Ein aufmerksamer Bürger des Dorfes will die Glocke jedoch am Südbahnhof in Aschaffenburg wiedererkannt haben, holte sie in der Nacht zurück und vergrub sie. Nach Kriegsende übergab er die Glocke an Pfarrer Julius Pfister, der sie wieder in das Türmchen der Kapelle hängen ließ. Im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass besagtes Glöckchen einem Schiffsmann gehörte, der es denn auch zurück forderte. Im Januar 1946 stiftete Adam Wolfert ein neues Glöckchen.