Erster Tag: Würzburg bis Euerdorf
Am 20. August schultere ich meine Reisetasche und meinen Wanderrucksack. Um halb vier Uhr morgens sagen sich die Menschen auf meinem Weg zum Würzburger Neumünster noch „Gute Nacht“. Ich starte dagegen durch. Zum ersten Mal nehme ich an einer Wallfahrt teil. Bei der Wallfahrt zum Kreuzberg, die die Bruderschaft zum Heiligen Kreuz dieses Jahr zum 376. Mal organisiert, werde ich 172 Kilometer in fünf Tagen zu Fuß gehen. Was sich nach einer sportlichen Höchstleistung anhört, soll etwas anderes sein: ein großer Gottesdienst unterwegs. Nach dem Begrüßungsgottesdienst im Würzburger Neumünster bin ich ziemlich aufgeregt. Auf der Straße bildet sich langsam ein Zug aus 262 Menschen. Aus der Menge der Wallfahrerinnen und Wallfahrer ragen zwei Kreuze, Fahnen und Lautsprecher heraus. Es ertönt eine letzte Durchsage zum Ablauf, dann verlassen wir Würzburg in flottem Tempo. In fünf Tagen werden wir zurückkehren. Sobald wir in Bewegung sind, beginnt das Gebet. Wenn wir in einem Ort Halt machen, ziehen wir zuerst in die Kirche ein und von dort wieder weiter. Außerdem können wir uns dort mit Brötchen, Kuchen und etwas zu trinken stärken. Das ist notwendig. Wir werden heute 50 Kilometer gehen.
Wir beten viele Rosenkränze, aber es gibt auch Abwechslung. Zum Beispiel legen wir den Fokus auf bestimmte Themen wie die Schöpfung. Die Vorbeterin oder der Vorbeter sprechen dann etwas vor, das wir nachsprechen. Das regt zum Nachdenken an. Außerdem gehen wir Teile des Weges in Stille oder es gibt Gebetspausen, die ich zum Kennenlernen anderer Menschen nutze. Auf dem Weg zum Kreuzberg finden außerdem „Begegnungen“ statt.
Diese sind Teil eines großen Kreuzwegs. „Was wir früher Kreuzwegstationen genannt haben, bezeichnen wir als Begegnungen, weil es immer um Begegnungen zwischen Jesus und den Menschen geht“, erklärt Pater Maximilian Bauer vom Orden der Franziskaner-Minoriten. Er begleitet die Wallfahrt als Präses.
Zweiter Tag: Euerdorf bis Kreuzberg
Im Sonnenaufgang zieht der Wallfahrtszug über eine Brücke und an nebelverhangenen Wiesen vorbei. Ich kann diese Schönheit nicht genießen, denn ich habe ein Problem. Nach 10.000 Schritten (normalerweise ein respektables Tagesziel für mich) geht es nicht mehr weiter. Meine Hüfte schmerzt zu sehr. Ich lasse mich in einen der Sitze des Begleitbusses fallen, in den man jederzeit einsteigen kann, und fahre bis zum Ort unserer ersten großen Pause. Trost kommt von Joachim Endres, der manchmal neben mir läuft: „Selbst gestandene Triathleten hatten mit dem vielen Gehen schon ihre Probleme.“ Nach der Pause kann ich wieder mitlaufen.
Ich muss gestehen: so langsam wird mir das ständige Beten zu viel. Warum beten wir schon wieder einen Rosenkranz? „Der Rosenkranz ist eine ganz große Einladung sich mit den Geheimnissen unseres Glaubens zu beschäftigen. In den Stationen, die Jesus und Maria gehen, spüren wir: Das hat ganz viel mit unserem eigenen Leben zu tun“, sagt Pater Maximilian. Der Kreuzberg ist mittlerweile nicht mehr weit. Nach der Rast in Waldberg beginnen wir mit dem Anstieg auf den Kreuzberg. Der steile Weg zum Gipfelkreuz heißt nicht umsonst „Kniebreche“. Als der Aufstieg fast geschafft ist, beglückwünschen uns die Pilgerführerin und der Pilgerführer mit einem Händedruck. Am Kreuz angekommen, kann ich vor Erschöpfung kurz nichts fühlen. Später überkommt mich Stolz und Dankbarkeit.
Dritter Tag: Kreuzberg bis Burkardroth
Dass Wallfahren kein sportliches Event, sondern ein Gottesdienst unterwegs ist, wird mir besonders heute klar. Der Tag beginnt mit einem Kreuzweg auf dem Kreuzberg. Noch nie habe ich an einem Kreuzweg mit schönerem Panorama teilgenommen. Von der Kreuzigungsgruppe habe ich einen atemberaubenden Ausblick über die Rhön. Danach feiern wir ein Wallfahrtsamt am Freialtar vor der Kirche. Der Weg zum Kreuzberg war ein großer Kreuzweg. Das Wallfahrtsamt markiert den Wendepunkt. Auf dem Rückweg geht es um die Auferstehung Jesu. In der Pause nach dem Gottesdienst zünde ich für meine persönlichen Anliegen eine Kerze an. Nach der Einzelsegnung durch die Auflegung des Kreuzpartikels formiert sich der Wallfahrtszug und wir ziehen wieder los. Franziskaner-Guardian Korbinian Klinger segnet uns zum Abschied mit Weihwasser. Die Impulse, die es auf dem Rückweg gibt, gefallen mir besser als die Begegnungen. Die Texte stammen von Pater Anselm Grün, der diese für die Osterzeit geschrieben hat.
Vierter Tag: Burkardroth bis Arnstein
Die Malteser haben es auf der Wallfahrt vor allem mit Kreislaufproblemen und Blasen an den Füßen zu tun. Ich besuche den Krankenwagen am Morgen aus einem anderen Grund. Beim Aufstehen habe ich mir den Kopf an einer Kante gestoßen und lasse die kleine Wunde anschauen. Danach fokussiere ich mich wieder auf den spirituellen Aspekt der Wallfahrt. Diese steht jedes Jahr unter einem Motto. Dieses Jahr lautet es: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein“ (Gen 12,2). Über jedem Tag steht eine Stelle aus der Bibel, die mit dem Thema „Segen“ zu tun hat.
Fünfter Tag: Arnstein bis Würzburg
Unfassbar wie schnell die Zeit vergeht, seitdem wir den Kreuzberg erreicht haben. Heute ist schon der 24. August und damit der letzte Tag! Wir laufen heute zum Glück nicht mehr so viele Kilometer wie die letzten Tage. In Gramschatz werden unsere Kreuze, Autos, Lautsprecher und weitere Gegenstände mit Blumen geschmückt. Außerdem warten am Straßenrand immer wieder Menschen, die uns Blumen überreichen. Das ist am letzten Wallfahrtstag Tradition. Als Würzburg am Horizont erscheint, werde ich langsam aufgeregt. Am Ortseingang begrüßt uns Oberbürgermeister Christian Schuchardt. An einer großen Menschenmenge vorbei, ziehen wir in den Kiliansdom ein. Dort empfängt uns Weihbischof Ulrich Boom mit den Worten: „Der Heimweg ist das Wichtigste.“ Pater Maximilian sagt: „Wir sind füreinander zum Segen geworden.“ Zum Schluss erhalten wir noch ein drittes Mal den Segen durch das Auflegen des Kreuzpartikels, dann ist die Kreuzbergwallfahrt zu Ende.
Vincent Poschenrieder hat im Jahr 2023 an der Würzburger Kreuzbergwallfahrt teilgenommen.